Wienwert meldet Insolvenz an – 45 Millionen Gesamtverbindlichkeiten, aber angeblich keine Mitarbeiter betroffen
Wien. Die WW Holding AG, Muttergesellschaft der Wienwert AG, hat heute, Donnerstag, wie erwartet einen Insolvenzantrag gestellt. Die Gesamtverbindlichkeiten betragen rund 45 Millionen Euro, davon entfallen 35 Millionen Euro auf Anleihegläubiger, wie Vorstandsdirektor Stefan Gruze auf Anfrage der APA bestätigte.
Hauptbetroffen sind von der Pleite die rund 900 Anleihenzeichner. Die Mitarbeiterzahl sei bei dieser Insolvenz "keine relevante Größe, die ist nämlich null. Ich selbst habe schon das ganze letzte Jahr kein Gehalt mehr bekommen von der Gesellschaft. Ich bin quasi der einzige Mitarbeiter." Ein Masseverwalter soll heute oder morgen bestellt werden.
Sanierungsverfahren wird angestrebt
Die WW Holding AG strebt ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung an. Der gerichtlich bestellte Sanierungsverwalter müsste dann auch den geplanten Verkauf der Tochtergesellschaft Wienwert AG unterschreiben.
Dem Vernehmen nach wird bereits mit mehreren Interessenten verhandelt. Zuletzt hieß es, ein deutscher Investor sei bereit, die Sanierung zu finanzieren und dafür zunächst 8 Mio. Euro bereitzustellen.
Die WW Holding ist Emittent folgender Schuldverschreibungen, die am Dritten Markt der Wiener Börse gehandelt werden: AT0000A1P0K5 (Dritter Markt, Marktsegment corporates standard) und AT0000A1LJK5 (Dritter Markt, Marktsegment corporates standard).
Der Prozessfinanzierer Advofin bietet Wienwert-Anlegern an, ihre Ansprüche im Rahmen einer Sammelklage durchzusetzen. Die Chancen, einen Gutteil des investierten Geldes zurückzubekommen, stünden gut. Auch der Anlegerschützer-Verein Cobin Claims hat eine Sammelaktion gestartet. Die Anlegervertreter werfen dem Unternehmen vor, die Wienwert-Investoren über das Risiko im Unklaren gelassen zu haben.
Neue Führung ab 2016 konnte Ruder nicht herumreißen
April 2016: Wienwert krempelt seine Führung um: Die beiden (damaligen) Hälfteeigentümer Bakir und Sedelmayer ziehen sich aus dem Vorstand zurück, der Investmentbanker Gruze wird Alleinvorstand. Er versteht sich als Sanierungsmanager und soll für 3 Mio. Euro Finanzierungszusagen mitgebracht haben, für weitere 3,5 Mio. gebe es konkrete Investorenabsichten, hieß es.
"Wir machen uns börsenfit und werden ab heuer Quartalszahlen veröffentlichen", sagt Gruze damals – dazu kommt es aber nie. Bis 2020 schwebt ihm ein Gang an die Börse vor, eventuell schon 2018. Die Firma heißt nur noch "Wienwert AG" und will bis Sommer 10 bis 15 Mio. Euro neue Bonds begeben. Das neue Geschäftsmodell: Statt Altbauten will man sich auf Neubau und Vermietung fokussieren. Vorsorgewohnungen seien als "Thema ausgelutscht", so der CEO: "Jeder Zahnarzt, jeder Steuerberater hat mittlerweile drei Vorsorgewohnungen."
Juni 2016: Auch den neuen Vorstand lässt "der Reiz des Betongolds" nicht los. "Immobilien sind der solideste Wert, in den man sein Geld veranlagen kann", sagt er: "Wer in Märkten mit nachhaltig starker Nachfrage investiert, kann jedenfalls sehr ruhig schlafen." Für die Anleihen strebe man eine Notiz am Wiener Markt Corporates Prime an mit Ad-hoc-Pflicht. Auch eine Versammlung für Anleihekäufer – ähnlich der Hauptversammlung einer AG – solle es geben, kündigt Gruze an. Den letztgültigen Wert des Immo-Portfolios beziffert er per Ende 2015 mit 124 Mio. Euro, nach Abschluss der Developments seien es 188 Mio. Euro.
Juni 2016: Die Finanzmarktaufsicht (FMA) verhängt Geldstrafen gegen die zwei früheren Verantwortlichen der Wienwert Immobilien Finanz AG (heute: WW Holding AG) unter anderem wegen irreführender Werbung. Die Strafen von je 9.800 Euro wurden rechtskräftig.
Juli 2016: Gruze "zündet" die Causa IMV/IVS an, er wirft der größten privaten Hausverwaltung des Landes unsaubere Praktiken vor – etwa durch jahrelang überhöhte Professionistenrechnungen; es gilt die Unschuldsvermutung. Diese und die einige Monate davor von der IMV verkaufte IVS weisen die Vorwürfe zurück.
Oktober 2016: Für den Kauf neuer Grundstücke kündigt Wienwert eine neue, zehnjährige 3,75-Prozent-Anleihe für bis zu 5 Mio. Euro an. Gleichzeitig wird bekannt, dass die Bilanz 2015 fast 15 Mio. Euro Jahresverlust ausweist, fast 10 Mio. negatives Eigenkapital – aber es gibt trotzdem (erneut von der SOT) einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. Es liege trotz negativen Eigenkapitals zwar keine insolvenzrechtliche Verschuldung vor, "aufgrund der unterschiedlichen Laufzeiten von Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber ihren Gläubigern einerseits, sowie Forderungen der Gesellschaft gegenüber Gesellschaften der Wienwert-Gruppe andererseits besteht jedoch ein wesentliches Liquiditätsrisiko", erklärt die Süd-Ost-Treuhand. Seit 2010 hat Wienwert 24 Anleihen für 42 Mio. emittiert, davon sind 8 Mio. Euro bisher getilgt, heißt es. Jedoch beziffert ein neuer Kapitalmarktprospekt den Neuplatzierungsbedarf bis 2018 mit rund 25 Mio. Euro, weil bis dahin 14,34 Mio. Euro zur Rückführung fällig würden. Sollten die neuen Bonds nicht mehr begeben werden können, "hätte dies signifikante Auswirkungen auf die Solvenz", lautete die Warnung in dem Prospekt. Dann bestehe erhebliches Risiko, dass die jährlichen Kuponzahlungen und/oder Rückzahlungen nicht mehr geleistet werden könnten.
Jänner 2017: "Erhebliche Probleme für Immoentwickler Wienwert" titelt eine Zeitung. Die Wienwert Holding AG wies per Ende 2016 rund 20 bis 22 Mio. Euro negatives Eigenkapital auf, so der Bericht. Der Verkauf von Altbauten soll den Cashbestand erhöhen. Der Altbestand wurde an Hallmann und andere veräußert, 2015/16 soll es zusammen aber 27 Mio. Abschreibungsbedarf gegeben haben.
Jänner 2017: Wienwert hat Anleihen über 42 Mio. Euro "draußen", die Anleihezeichner "sorgen sich ob sie das Geld je wieder sehen", so eine Zeitung. Man sei nicht konkursgefährdet, hält Gruze dem entgegen: "Wir haben genug Liquidität und zahlen alle Verpflichtungen den Anleihegläubigern pünktlich." Was das Eigenkapital auffraß? "Wiener Zinshäuser, die wegen der geringen Rendite fast zu Gänze verkauft wurden, 10 Mio. Euro unter dem Buchwert", so der CEO. Er sei als Sanierer zu einem "schwer kranken Patienten" gekommen.
April 2017: Die Ziele des CEO sind weiter ambitioniert: Rund 3.000 leistbare, frei finanzierte Wohnungen will er in den nächsten Jahren in Wien errichten. Außerdem will er die Ende 2016 neu gegründete Wienwert AG, die fortan als Tochter der neuen WW Holding AG fungiert, 2018 an die Wiener Börse bringen. Die alte Wienwert AG sei die nunmehrige Wienwert Holding AG und Alleinaktionärin der neuen Wienwert AG. "Die Gewinne, die wir erwirtschaften, werden in die alte Wienwert-Holding fließen, um die Anleihen zu tilgen", so der Ex-Banker: "Wir gehen davon aus, dass wir die Zinsen bezahlen und auch das Kapital zurückzahlen können." Bis Ende 2018 wären dafür 18 Mio. Euro nötig, der Rest bis 2026. Eine Neuemission, die erste der neuen Wienwert AG, komme eventuell noch bis Sommer.
Juni 2017: Das negative Eigenkapital der Wienwert Holding ist mit 27,5 Mio. höher als die Anfang 2017 erwarteten 20 bis 22 Mio. Euro.
Juli 2017: Die FMA wirft der Wienwert vor, bei einer 5-Mio.-Anleihe das "tatsächliche Risiko des Erwerbs nicht hinreichend dargestellt" zu haben – nämlich dass indirekt in die Mutter WW Holding AG investiert werde – und in einem Werbevideo den unrichtigen Eindruck eines Naheverhältnisses zur Stadt Wien erweckt zu haben. Wienwert will den Sachverhalt mit der Behörde klären und sich fortan nur noch aufs Segment "leistbares Wohnen" konzentrieren ("Wienwert Plus").
August 2017: Kooperation von Wienwert mit der Bundespensionskasse wird bekannt. Künftig will man Immo-Käufe 50:50 finanzieren und auch Projektgesellschaften 50:50 halten. Konkret wurde ein Syndikatsvertrag mit dem Luxemburger Sicav-Fonds Wohnen Plus SCS abgeschlossen, dahinter steht als Eigentümer und einziger Investor die BPK, die der Republik gehört und u.a. für die Zusatzpensionen von Bundesbediensteten zuständig ist. Erste Immos sollen bereits für einen zweistelligen Mio-Betrag angekauft worden sein, heißt es.
August 2017: FMA hat Verwaltungsstrafverfahren gegen Wienwert eingeleitet wegen Verdachts der irreführenden Werbung. Im Luxemburger Prospekt, auf dessen Basis in Österreich Anleihen verkauft werden, sollen bestimmte Risikohinweise unterlassen worden sein. Zugleich strotz der Vorstand vor Optimismus zum operativen Geschäft: "Wir wollen kurzfristig bis zu 100 Mio. Euro in Grundstücksakquisitionen investieren." Parallel wird bekannt, dass Wienwert für 2016 ein negatives Eigenkapital von 28,7 Mio. Euro ausweist (mehr als befürchtet), wegen 11,9 bzw. 18.8 Mio. Verlust in den letzten zwei Jahren, ausgelöst durch weitere Abwertungen. Und: SOT gibt der WW Holding nur noch einen eingeschränkten Bestätigungsvermerk. Die Tochter Wienwert soll nur 5 Mio. Euro Eigenkapital haben, davon 3,2 Mio. der Markenrechtswert, 1,8 Mio. Cash.
September 2017: CEO Gruze erhielt von der FMA 85.000 Euro Verwaltungsstrafe aufgebrummt (Strafrahmen 100.000 Euro) – wegen irreführender Werbung und fehlendem Prospekthinweis. Den Vorwurf irreführender Werbung will man bekämpfen, die Strafe ist nicht rechtskräftig.
September 2017: Im ersten Halbjahr schrieb Wienwert nach eigenen Angaben 2,5 Mio. Euro Verlust nach Steuern bzw. 2,8 Mio. Bilanzverlust. Das Eigenkapital wird mit 2,2 Mio. Euro beziffert.
Oktober 2017: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) prüft eine Anzeige gegen Wienwert, die ein Ex-Geschäftspartner eingebracht hat – wegen angeblicher fragwürdiger Zahlungen an Gesellschaften von der Wienwert nahestehenden Personen; es gilt die Unschuldsvermutung.
November 2017: Wienwert soll zwei Häuser für zusammen 30 Mio. Euro losgeschlagen haben, Käufer soll die Hallmann Holding von Immoinvestor Klemens Hallmann sein.
November 2017: WKStA ermittelt wegen Verdachts der Untreue gegen handelnde Personen von Wienwert. Auslöser war eine Sachverhaltsdarstellung des Anlegerschützer-Vereins Cobin Claims, die sich gegen die beiden Gründer und den CEO richten; es gilt die Unschuldsvermutung. Kritik darin: die WW Holding könnte durch den im Mai 2016 erfolgten und 3,12 Mio. Euro teuren Erwerb der Markenrechte, die den beiden Gründern gehörten, "entreichert" worden sein.
Dezember 2017: Der CEO schickt an die beiden Gründer kurz vor Weihnachten die letzten von etlichen Mahnungen zu 2 Mio. Euro, die diese angeblich bei der WW Holding AG offen haben sollen; ursprünglich waren es laut Vorstand sogar 6 Mio. Euro, jedoch wurden dann auch die gut 3 Mio. Markenwert gegengerechnet. Die Nichtzahlung nennt Gruze später als eine Mitursache der Insolvenz.
18. Jänner 2018: Die Wienwert-AG-Mutter WW Holding AG räumt ihre Zahlungsunfähigkeit ein und kündigt rasch einen Insolvenzantrag an. Eine am 20. Dezember fällig gewesene Anleihe konnte nicht mehr bedient werden. Indirekt wird die Schuld an den Problemen auch den WKStA-Ermittlungen gegeben, da jetzt keine neue Anleihen mehr emittiert werden könnten. Im Zuge der Sanierung solle die Tochter Wienwert AG verkauft werden, heißt es.
21. Jänner 2018: Der Chef von WW Holding AG und Wienwert AG entschuldigt sich in einem offenen Brief "mit dem Ausdruck größten Bedauerns" bei den rund 900 Anlegern, die 35 Mio. Euro ausstehende Anleihen besitzen. "Die Problemstellungen aus der Vergangenheit" habe man nicht lösen und dadurch die WW Holding auch nicht sanieren können.
23. Jänner 2018: FMA betont, dass Wienwert bei der Anleihenbegebung eine Aufsichtslücke ausgenützt hat, weil sie ihre Papiere selbst im Eigenvertrieb verkauft hat und diese damit nicht den Kapitalmarktregeln (MiFID) unterlegen sind: "Das ist das Kern des Problems", so die FMA. – Am selben Tag erhebt das Gründer-Duo eine "Gegenforderung" in Höhe von 4,5 Mio. Euro zu den 2 Mio. Euro, die Gruze von den beiden einfordern wollte.
28. Jänner 2018: Der Wienwert-Vorstand erklärt, man wolle am Geschäftsmodell festhalten, wenn auch ohne Neuemissionen. Die Außenstände werden mit 45 Mio. beziffert. Ein deutscher Investor soll zur Übernahme der Wienwert und zum Einschuss von Millionen bereit sein, schreibt "profil" – es gebe eine Finanzierungsbestätigung, sagt der Rechtsvertreter der beiden Gründer und Zweidritteleigentümer.
28. Jänner 2018: Cobin Claims kritisiert im APA-Gespräch, Wienwert habe seine Anleger über das Hauptrisiko im Unklaren gelassen, nämlich dass die Zeichner vielfach ein Equity-, also Eigenkapitalrisiko zu tragen haben und dass die Bonds nicht besichert seien. Zum neu geplanten Geschäftsmodell ist man skeptisch: Ein reines Vermietungsmodell sei zur Anleihen-Rückführung nicht tragbar, sagt der Verein, der über ein Drittel der Zeichner hinter sich versammelt hat. Zentrale Frage sei: "Wo ist das Geld hin?" Wie habe man in einem boomenden Immo-Markt innerhalb von sieben Jahren derart hohe Summen verbrennen können?
1. Februar 2018: Die WW Holding AG beantragt ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung, bei dem es mindestens 20 Prozent Quote für die Gläubiger geben muss. Die nicht insolvente Tochter Wienwert AG, die der Mutter zu 99,99 Prozent gehört, soll verkauft werden, erklärt das Schuldnerunternehmen.
URL: http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/oesterreich/944548_Wienwert-meldet-Insolvenz-an.html
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